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Literaturherbst 2012

Wolfgang Schorlau, Die letzte Flucht

Krimilesung
7.11. um 20 Uhr im Schloss / Fachakademie


 

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Zwei Kernszenen und feiner Humor

Wolfgang Schorlau kam im Rahmen des Literarischen Herbstes nach Krumbach und „las“ in der Fachakademie. Das rund anderthalbstündige Programm des Autors, der mit der Figur des Detektivs Dengler in der deutschen Krimiwelt ganz eigene Wege geht, erwies sich als kurzweiliger und äußerst spannender Vortrag, bei dem Schorlau aus dem Nähkästchen plauderte. Anstatt seitenweise aus seinem Werk vorzulesen – der Autor beschränkte sich auf die Lesung von zwei Kernszenen – stellte Schorlau mit feinem Humor seine Protagonisten vor, verankerte sie in der realen Welt und baute emotionale Bezüge auf.
Er ließ die Besucher in der Fachakademie auch ein wenig hinter die Kulissen schauen. Erzählte von der großen Skepsis, die seiner Idee vom Privatermittler durch Kollegen entgegengebracht worden war. Schließlich, so Schorlau, seien alle deutschen Serienaufklärer pensionsberechtigte Beamte und der einzige ZDF-Detektiv erhalte nur durch seinen beigestellten Rechtsanwalt Seriosität. Er, Schorlau, habe dennoch an seiner Idee festgehalten, sicherheitshalber aber seiner Hauptfigur eine neue Biografie verpasst, ihn zum ehemaligen BKA-Mann gemacht. Doch die fiktive Ebene ist nur eine im vielschichtigen Werk des Stuttgarter Schriftstellers. Schorlau transportiert mit seinen Figuren, dem Privatermittler Dengler und einer Handvoll weiterer Personen, hochaktuelle gesellschaftskritische Themen. Dabei bleibt er nicht bei oberflächlicher Kritik an Phänomenen, sondern vertieft sich teils über mehrere Jahre in eine intensive Recherche. Die Machenschaften des Gesundheitssystems Denglers jüngster Fall, „Die letzte Flucht“ widmet sich den Machenschaften des Gesundheitssystems, in dem es um exorbitante Geldsummen geht. Er habe zwar einen Anfangsverdacht gehabt, doch habe er sich das Ausmaß nicht vorstellen können. In der Gesundheitsbranche gebe es zwei Seiten: Auf der einen fehlt ständig das Geld, etwa bei den Pflegekräften. Auf der anderen Seite werde im Geld geschwommen. Arzneimittelhersteller und -vertrieb erzielten Umsatzrenditen von bis zu 40 Prozent. Im Vergleich dazu: Rekordergebnis bei Daimler waren acht Prozent.
In Krumbach erzählte Wolfgang Schorlau von den Interviews, die er mit hochrangigen Pharmabossen führte, und die ihre Aufgabe darin sehen, den Geldstrom von den Kassen durch das Nadelöhr „Verordner“ (Ärzte) ins eigene Unternehmen zu leiten. Er berichtete von manipulierter Software, die in Arztpraxen beim Ausstellen von Rezepten bestimmte Firmen in den Vordergrund drängen. Von scheinbaren wissenschaftlichen Datenerhebungen, hinter denen sich knallharte Bestechung verbirgt. Von unterwanderten Selbsthilfegruppen und gefakten Medienauftritten. Die Realität, so scheint es, ist der härteste Krimi – aber sie macht keinen Spaß. Wolfgang Schorlau verpackt sie deshalb in seinen Werken in packenden Lesestoff, nicht in niederschmetternde Dokumentationen und erreicht so ein breites Publikum, das in Krumbach großzügig Gelegenheit erhielt, mit dem Autor zu diskutieren.
Eine Ärztin bestätigte Schorlaus Szenario einer ziemlich kriminalisierten und ethisch verwerflichen Branche. Eine andere Dame aus dem Publikum untermauerte die Aussagen und Analysen des Autors durch eigene Erfahrungen als Krebspatientin. Es ist Schorlaus große Leistung, sauber recherchierte Fakten in einen fiktiven Rahmen zu setzen und als unterhaltsamen Krimi zu publizieren. Dabei, versichert er, bleibt die Fiktion, die literarische Seite, immer die bestimmende, und meistert spielend den Spagat zwischen fachkundigem Background und Realitätsbezug einerseits und dem, was Gegner fiktionaler Literatur als Realitätsflucht schelten.

Gertrud Adlassnig in den Mttelschwäbischen Nachrichten vom 13.11.2012